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She Came to Me-Berlinale

Peter Dinklage (Foto: Protagonist Pictures)

She Came to Me-Berlinale

Die 73. Berlinale eröffnete man mit dem US- Spielfilm „She Came to Me“. Der Film hat eine Länge von 102 Minuten. In der Sektion Berlinale Special war er zu sehen.

Regisseurin und Drehbuchautorin ist Rebecca Miller. Man kennt sie u. a. für ihre Regie bei den Filmen „Angela“, „Pippa Lee“ und „Maggies Plan“. 

Die Regisseurin von She Came to Me bei der Premiere: Rebecca Miller (Foto: Alexander Janetzka/Berlinale 2023)

Sie macht uns bekannt mit ulkigen Gestalten in New York. Sie alle erinnern ein bisschen an Woody Allen mit seinem „Der Stadtneurotiker“. Da tritt der erfolgreiche Opernsänger und Komponist Steven Lauddem auf. Peter Dinklage spielt ihn. Den US-Darsteller kennt man u. a. aus „Tiptoes“, „Lassie kehrt zurück“, „Game of Thrones“ und „Penelope“. Steven ist mit Patricia verheiratet. Anna Hathaway stellt sie dar (u. a. „Brokeback Mountain“, „Der Teufel trägt Prada“). Ihre Rolle ist die einer Perfektionistin. Sie ist von Beruf Therapeutin. Alles muss stimmig und blitzblank in Praxis und Haushalt sein. Man kommt um das Vorurteil nicht herum: Diese völlig überdrehte Neurologin bedarf selber einer Behandlung durch einen erfahrenen Nervenarzt. In die Ehe brachte sie Julian mit. Der Junge ist gerade 18 Jahre jung. Der Collegestudent liebt die 16-jährige Tereza. In der 8,5 Millionen-Einwohner Stadt New York passieren die komischsten Zufälle! Die aus Polen stammende Putzfrau Magdalena reinigt im Hause von Steven, Patricia und Julian. Sie ist die Mutter von Tereza. 

Die 1982 in Polen geborene Schauspielerin Joanna Kulig (u. a. „Ida“, „Das bessere Leben“, „Die verlorene Zeit“) spielt die polnisch stämmige Putzfrau. Lange Zeit können Julian und Tereza das Geheimnis ihrer Liebe für sich bewahren. Magdalena ist mit dem Justizbeamten Trey verheiratet. Er hatte vor Jahren Tereza adoptiert und betrachtet sie als seine Tochter. Brian d’Arcy James spielt Trey. Man kennt ihn u. a. aus „G“, „Monday Night Mayhem“ und „Westside Story“. Er ist nicht nur im Dienst ein korrekter Beamter. Bei ihm geht es auch zu Hause „Streng und gerecht“ zu. Tereza hat sich gefälligst korrekt zu kleiden und darf nicht zu viel Haut zeigen. Mit ihm diskutiert man nicht. Er gibt den Ton an. 

Steven Lauddem hat das große Problem, er leidet an einer Schaffenskrise. Der Komponist will sich in seine eigene kleine Welt zurückziehen. Auf einer großen Künstler-Party will er Musikverlegern und Opernintendanten aus dem Weg gehen. Er versteckt sich in einem großen Zimmer hinter großen Topfpflanzen. Seine Frau Patricia duldet das Versteckspiel nicht. Kurzerhand ruft sie dem in der Nähe stehenden Opernintendanten und den neben ihm stehenden Musikverleger zu: „Mein Mann ist hier. Kommen sie doch bitte zu uns“. Steven bleibt nichts anderes übrig, als artig den beiden „Mister Wichtig“ sein „Pfötchen“ zu geben. Beeindruckend, wie Peter Dinklage widerwillig und mit rollenden Augen, die seine ganze Abneigung zu den Big Bosses zeigt, die Herren begrüßt. Man muss mit dem Komponisten Mitleid haben. Während in dem einen Haus Trey den Ton angibt, ist es in dem anderen Patricia. Das will sie nur nicht wahrhaben. Kurz nach der Party ordnet sie an, der brave Steven habe mit dem Hund Gassi zu gehen. Steven und Hund gehorchen Frau und Frauchen. Steven verschlägt es mitten im Spaziergang in eine Kneipe in Hafennähe. In der Bierbar trifft er Katrina. Marisa Tomei stellt sie dar. Die Oscar-Preisträgerin („Mein Vetter Winnie“) spielt eine starke Frau! Mit ihrer Schwester zusammen betreibt sie als Kapitänin einen Hafenschlepper. Den Kahn hat man vom Vater geerbt. Mit dem Schleppen nimmt es Katrina wörtlich. Sie schleppt Steven und Hund von der Spelunke zu ihrem Boot ab. Der Komponist und die Kapitänin kommen sich näher. Als Katrina wenig später in Erfahrung bringt, dass ihre Kneipenbekanntschaft ein VIP ist, fühlt sie sich geehrt. Sie betrachtet sich als die Muse des Komponisten. Steven hatte sich nur ein einziges Mal mit der Kapitänin amüsieren wollen. Katrina ist fest davon überzeugt, sie müsse mit Steven sich für immer zusammenschließen. Intensiv, offensiv wird dem armen Steven nachstellt. Katrina ist nämlich krank. Sie ist süchtig nach Romantik. Vielleicht kann eine Therapeutin ihr helfen? Hier kommt der zweite Zufall in der Weltmetropole New York zustande. Sie sucht die Therapeutin Patricia auf. 

Patricia zweifelt zeitgleich am Sinn einer Ehe. Vielleicht lebt es sich zurückgezogen als Nonne im Kloster viel besser?  Als wenn diese Gefühlsausbrüche und Zweifel an der Ehe nicht schon für genug Unruhe sorgen, bereitet Trey beiden Familien große Probleme! Er hat erfahren, dass sich Julian und Tereza nähergekommen sind. Da seine Adoptivtochter minderjährig ist, zeigt er Julian wegen Vergewaltigung an. Nach den Gesetzen liegt diese Straftat vor, auch wenn Tereza freiwillig sich mit ihrem Freund eingelassen hatte.

Rebecca Miller zeigt uns zwei Familien und deren Kinder in New York, wo einiges aus dem Ruder gelaufen ist. Das Ruder steht auch symbolisch für die Kapitänin. Sie bringt als Romantiksüchtige sehr viel Unruhe in die Familie des neurotischen Steven und seiner nicht weniger neurotischen Frau. Die Regisseurin teilt auch zeitkritisch aus! Der erzkonservative Trey möchte Julian hinter Gittern bringen. Was für Gesetze liegen in einigen US-Bundesstaaten noch vor? Aus welcher Zeit stammen diese Gesetze? Kommen sich ein 18-Jähriger und eine 16- Jährige beide freiwillig näher, soll das genauso bestraft werden bzw. überhaupt so bestraft werden, als habe ein Mann eine Frau vergewaltigt? Der nächste Seitenhieb von Rebecca Miller geht an die weiteren Bundesstaaten und deren Gesetze. Es kommt noch ein Seitenhieb hinzu. Wer Geld hat, kommt an gute Anwälte! Steven und seine Gattin lassen einen erfahrenen Juristen zu sich nach Hause kommen. Der hat Ratschläge auf Lager wie diesen: „Im US-Bundesstaat Delaware kann man mit 14 Jahren als Frau heiraten“. Sind Tereza und Julian verheiratet, würde kaum ein Richter in New York ein Verfahren gegen Julian eröffnen. Maximal eine Geldstrafe statt Strafhaft ist dann zu befürchten. Wollen die beiden jungen Leute überhaupt heiraten? Wollen Steven und Patricia zusammenbleiben? Kann man die Kapitänin von ihrer Romantiksucht und ihrem Schielen nach dem Komponisten heilen? Wird Magdalena bei Trey bleiben? Er sieht nicht ein, warum er seine Anzeige gegen den mutmaßlichen Vergewaltiger Julian zurückziehen soll. Schließlich „muss Ordnung sein bei einem Justizbeamten“. 

Der Zuschauer wundert sich über so viele Neurotiker aus und in New York. Sie sind aber glücklicherweise alle liebenswert. Man schaltet als Zuschauer bei so vielen prachtvollen Schauspielern und der herausragenden Regieleistung mal vom gestressten Alltag ab. Mal hat man mit dem kumpelhaften Komponisten Mitleid, manchmal ist er zum Fremdschämen. 

Da will er beispielsweise einer ausgebildeten Opernsängerin beibringen, wie sie zu singen habe. Man macht ihm schnell klar, er ist der Komponist, nicht der Künstlerische Leiter der Oper. Wer nicht hören will, muss fühlen! Steven wird bei den Proben aufgrund seines Meckerns aus der Oper geworfen.

Alles ist stimmig bei „She Came to Me“. Langeweile kommt beim Betrachter nicht auf. Die Berlinale sollte einen neuen Bären verleihen! Für das beste Casting bei einem Film. Man sieht in der Chaos-Truppe aus New York es weder Peter Dinklage noch seinen Kolleginnen und Kollegen es an, dass hier „nur“ Schauspieler am Werk sind! Man meint, den leibhaftigen Komponisten und seine werte Gattin und Sohn und deren Bekannte vor sich zu haben. Wirklich jede Rolle ist ideal besetzt. Das trifft auch für die kleineren Rollen zu. So bei dem Rechtsanwalt, den zwei Matrosen auf dem Kahn und der Schwester der Kapitänin. Der Film handelt von einem Komponisten. Der echte Komponist Bryce Dessner hat für sehr hörbare Filmmusik gesorgt. Der ausgebildete Komponist und Gitarrist traf bei jeder Szene den richtigen Ton an. 

Ein Film aus der Kategorie: Must see!

Text: Volker Neef

Fotos: Protagonist Pictures ; Alexander Janetzka/Berlinale 2023

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Frank Pfuhl
Frank Pfuhl
SDHB Redaktion Berlin