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Menschen mit Spuren und ihre Wege durch die Krise. Folge 5: Engin vom Bistro Ponte

Engin Gülyaprak - Foto: Joachim Skambraks

Menschen mit Spuren und ihre Wege durch die Krise. Folge 5: Engin vom Bistro Ponte

Gehen wir zurück ins Jahr 1984. Da gab es in Bayreuth eine Kleinkunst Kneipe mit Discothek. Legendär war das Crazy Elefant. Dort lernte ich den Geschäftsführer kennen, er heißt Engin. Sein aktuelles Bistro und Restaurant in Bayreuth heißt Engin’s Ponte. Er begeistert durch seine Ideenvielfalt und innovatives Unternehmertum. Zudem ist er ein großartiger Netzwerker. 

http://www.engins-ponte.de/

MMS: Wie hinterlässt Du aus deiner Sicht spuren? 

Engin: Ich komme aus der aus der Ecke Diskothek. Ich bin also vom Ursprung Kfz-Mechaniker. Ich habe dann im zweiten Bildungsweg weitergemacht. Dann bin in die Gastronomie eingestiegen. Die erste große Spur war das Crazy Elephant mit der angrenzenden Kunstkneipe am Marktplatz Bayreuth. Sehr viele, auch bekannte Musiker, die heute gar nicht so einfach in einer Kneipe oder Disco auftreten würden, sind damals bei uns tatsächlich ohne großen Security-Aufwand aufgetreten. Die Nachtarbeit war mir dann doch zu viel und ich habe den Herzogkeller eröffnet. Da haben wir am Anfang Angst gehabt, weil so einen großen Biergarten wieder zu eröffnen war gar nicht so einfach. Ich habe mich später anderweitig interessiert und habe mein jetziges Café eröffnet, das Engins Ponte. Damals haben wir den Canale Grande zusammen mit  Oberbürgermeister Dr. Dieter Mronz gemeinsam eröffnet. Ich weiß noch wie heute, als wir in der Gondel gemeinsam standen. Er hat den Canale Grande eröffnet und ich mein Ponte, das mein Traum war. Ponte soll die Brücke zum Gast sein. Wir haben es tatsächlich geschafft, dass die Leute gerne gekommen sind. Immer Weihnachten, Fasching, Silvester sind die Leute von überall her gekommen. Ich kann jetzt auch von dir reden: Du warst viel außerhalb von Bayreuth unterwegs, aber weihnachten hat man sich im Ponte getroffen. 

MMS: Wir haben jetzt eineinhalb fast zwei schwierige Jahre hinter uns. Krise, Lockdown, Pandemie. An dich persönlich die Frage: Was hat es mit dir und auch mit deinem Geschäft gemacht? 

Engin: Ich musste tatsächlich überleben, sage ich jetzt einfach mal. Wenn dir einfach von oben herab alles zugesperrt wird, dann ist es eine Riesenangelegenheit. Gerade als Gastronom, der es gewohnt ist, dass viel los ist dass man viel machen kann, musst du auf einmal reduziert arbeiten und Abstände einhalten. Du musst abends einfach zusperren. Das hat ganz viele Spuren hinterlassen, vor allem bei den Mitarbeitern. Nicht nur in Bayreuth sondern tatsächlich bayernweit bekommen wir kaum mehr Mitarbeiter. Ich bin Landesdelegierter im Hotel- und Gaststättenverband und bin Kreisvorsitzender hier in Bayreuth. Ganz viele Kollegen haben bitterlich geweint. Da geht es tatsächlich ums Überleben. Das sind tatsächlich Lebenswerke, die auf einmal zerstört wurden. Eins muss man sagen: auch wenn die Wirtschaftshilfen für die Gastronomie groß waren, ausreichend war es natürlich nicht. Wem ich wirklich den schwarzen Peter zuschieben möchte sind die Banken. Sie bekommen zwar permanent selber irgendwelche Zuschüsse vom Staat, irgendwelche Fonds werden für die aufgelegt. Im Umkehrschluss ist es tatsächlich so, dass die nicht wirklich hilfreich sind für denjenigen der wenig Geld oder gar keins hat. In der Gastronomie es ist tatsächlich so, wenn du hundert Euro haben möchtest, musst du fast 150 Euro sichern. 

MMS: Wie ging es dir privat und der Familie in der Zeit? 

Engin: Für mich und meine Familie war es eine ganz andere Zeit. Denn ich war auf einmal zu hause. Ich konnte abends mit der Familie essen. Das ist natürlich was ganz Neues. Meine Tochter hat auf einmal nicht mehr fremd zu mir her geschaut. „Papa du bist ja zu hause.“, das ist schon eine besondere Erfahrung die ich auch genossen habe. 

Engin Gülyaprak – Foto: Joachim Skambraks

MMS: Gleichzeitig muss man vielleicht auch überlegen, wie man in Krisen und Lockdown vielleicht auch mental besser durchkommt. Was hast du getan, durch die Zeit zu kommen? Welche Denkweisen, Handlungsweisen oder Techniken gab es da? 

Engin: Das wichtigste ist der Zusammenhalt der Familie. Da muss ich ein Lob an meine Familie aussprechen. Wir wussten ja nicht, wie es weitergeht. Das ist im Nachhinein betrachtet immer einfacher, als wenn du vor der ganzen Angelegenheit stehst. Wir haben uns tatsächlich viele Sachen überlegt und auf Freunde gehört. Wir haben viel gelesen. 

MMS: Ich sehe deinen Augen an: Du hast einen kleinen Ratschlag für die Menschen. 

Engin: Ganz wichtig: Gebt nicht auf. Macht einfach weiter. Der Ausdruck „Unternehmer“ bedeutet eben unternehmen und nicht unterlassen. Ich möchte an alle den Mut auszusprechen zu sagen: Ich muss mal was Neues probieren. 

MMS: Menschen mit Spuren beschäftigt sich auch mit dem Thema Kunst, Kultur, Literatur, Musik. Was aus diesem Bereich hatte vielleicht auch ein wenig geholfen? 

Engin: Ich habe noch einen Jacqueline Flow zu hause. Das ist ein Kopfhörer, der heute kaum mehr verkauft wird. Es ist ein Riesenteil, hat aber einen tollen Klang. Ich konnte mal wieder meine alte Musiksammlung anhören. Ich konnte das eine oder andere Buch und überhaupt mal wieder eine Tageszeitung lesen. Sogar Freunde konnte ich Freunde treffen. Von der Lebensqualität her hat mir das schon etwas gebracht. Das war das Gute an der Pandemie. Bevor ich allerdings meine Familie genervt habe, bin ich runter in meinen Laden und habe umgebaut und alles in Ordnung gehalten. Ich kann einfach nicht wie viele Andere einfach nur auf der Couch liegen. 

MMS: Hast du vielleicht ein Lied oder einen Musiker, das dich sehr motiviert hat und vielleicht einen Buchtipp? 

Engin: Diana Ross ist immer etwas, ich einfach immer gut drauf bin, wenn ich ihre Musik höre. Das ist einfach Spitzenklasse und ich fühle mich dann sogar wieder jünger. Ich habe von Josef Schmitt „Unternehmerenergie“ gelesen. Das ist ein altes Buch, das ich früher schon gelesen habe und das habe ich mir dann wieder, ich sage mal, rein gezogen. 

Engin Gülyaprak – Foto: Joachim Skambraks

MMS: Zum Ende möchte ich noch in die Zukunft schauen. Was was ist in dieser Zeit des Stillstands, der Krise auch an Neuem passiert, eine Innovation oder Transformation? 

Engin: Wir haben unser Suppidu eröffnet. Wir haben angefangen, Suppen zu verkaufen für die ganzen Büros im Umfeld. Das war auch relativ erfolgreich. Als nächstes haben wir, weil wir nicht wussten wie es weiter geht, den Hippen Hirsch eröffnet. Wir mussten uns noch überlegen: Welches To Go Geschäft machen wir? Mit dem Frozen Yoghurt haben wir über den Sommer hinweg die Leute daran gewöhnt, dass wir auch To Go haben. Das Winterkonzept nennen wir jetzt Hipper Hirsch. Da gibt es eben eine Veranstaltung hier, einen Glühwein da. Das sind Sachen, wo ich mir erhoffe, dass ich meine Mitarbeiter halten kann. Ordentliche Mitarbeiter zu finden ist das Schwierigste in der Zeit. In der Gastronomie wird es immer schwieriger, weil unsere Arbeitszeiten nicht die sind, die man im Büro hat. Wir arbeiten dann aber mit viel Spaß, wenn andere frei haben. 

MMS: Hipper Hirsch klingt spannend. Welches Konzept steckt dahinter und was passiert da optisch? 

Engin: Wir haben eine Winterbar gemacht. Wir haben jetzt einfach das typische Winterrepertoire im Angebot, das heißt Glühwein, Waffeln, Crêpes. Wir haben uns dann natürlich auf außen verlegt, weil die Inzidenzzahlen das auch nicht anders hergeben. Im Endeffekt können wir jetzt außen ganz viele Leute bewirten, ohne dass sie Gefahr laufen dass sie erkranken. 

MMS: Vielen Dank für das interview. Ich freue mich sehr, dass du hier bist. 

Engin: Ich hoffe dass ich vielen anderen Mut machen konnte und wünsche uns allen ganz viel Gesundheit in dieser schwierigen Zeit. 

Text und Interview: Joachim Skambraks, Stimme der Hauptstadt.Berlin, Redaktion München

Hier finden Sie den Link zum Interview auf Video:

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Frank Pfuhl
Frank Pfuhl
SDHB Redaktion Berlin