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Menschen mit Spuren und ihre Wege durch die Krise Folge 26: Cortney Hacker 

Cortney Hacker, Foto: Joachim Skambraks

Cortney Hacker vom Becherbräu in Bayreuth betreibt mit ihrem Mann ein Brauereigasthaus in der 3. Generation, das für hervorragende Biere steht. Sie kümmert sich um Zitate von Jean Paul auf den Bierdeckeln 

MMS: Wie hinterlässt du aus deiner Sicht Spuren? 

Cortney Hacker: Ich betreibe eine Gaststätte und wir leben oberhalb von unserem Betrieb. Also wir sind jeden Tag drin. Da lernt man viele Menschen kennen und auch einige Probleme. Wir helfen auch den Leuten bei einem Seidla (Krug) Bier oder einem Essen, also eher bei den Stammgästen. 

MMS: Das hat ein bisschen was von Therapie. 

Cortney Hacker: Es ist manchmal schon ein bisschen eine Pflegestation. 

MMS: Was mir auffällt, wenn ich in Bayreuth beim Becherbräu oder beim Mann’s Bräu bin, es gibt da Bierdeckel mit Sprüchen von Jean Paul: Was hat das mit dir zu tun? 

Cortney Hacker: Meine Schwiegereltern wollten Sprüche von Jean Paul auf die Rückseite der Bierdeckel drucken. Mein Schwiegervater wollte zehn verschiedene für die Sammler haben. Das ist ein Grund, mehrere zu sammeln. Bei der ersten Auflage haben alle zusammen gearbeitet und die Sprüche ausgesucht. Aber bei der zweiten Auflage ist keiner aus der Hüfte gekommen. Dann habe ich die zehn Sprüche ausgesucht, von denen ich fand, die passen am Besten zum Becher Bräu und Mann’s Bräu oder haben überhaupt mit Bier und Gastwirtschaft zu tun. 

MMS: Ich finde die Sprüche toll. Warum aber Jean Paul? 

Cortney Hacker: Jean Paul haben sie sich ausgesucht, weil er in Bayreuth ein bekannter Dichter ist, der oft in Bayreuth war. Und eines seiner Zitate war: „Aber bin ich erst in Bayreuth… Himmel wie werd ich trinken.“ 

MMS: Ich glaube, wenn Jean Paul heute leben würde, er würde auch im Becher Bräu oder Mann’s Bräu sitzen und dort das gute dunkle Bier trinken. Das hat er nämlich gemocht. Die Sprüche von Jean Paul sind ja heutzutage nicht immer so ganz gesellschaftlich adäquat. Es gibt ja Zitate über Frauen, die jetzt nicht besonders „gendrifiziert“ sind. Was sagst du da als Frau dazu? 

Cortney Hacker: Also ich kann darüber lachen. Es mögen viele nicht wenn sie in diese Schublade gesteckt werden. Die Frau ist eine Beißzange, die daheim ist und das Haus wartet und der Mann geht Arbeiten oder versteckt sich in einer Gastwirtschaft. Aber das ist halt teilweise heutzutage noch so. Man kann darüber lachen. Ich finde es nicht so schlimm. 

MMS: Eben, das einfach zu veröffentlichen und drüber zu stehen. 

Cortney Hacker: Es gibt ja auch männerfeindliche Sprüche und da kann man auch drüber lachen. 

MMS: Ich glaube, gerade in eurer Branche waren Corona und Lockdown besonders hart. Was ist dir passiert? Wie hast du das erlebt? 

Cortney Hacker: Das war ein unbekanntes Erlebnis. Von null auf hundert haben wir auf einmal nicht mehr Arbeiten müssen oder nur noch das Nötigste. Wir mussten uns irgendwie über Wasser halten. Auf einmal hatte ich drei schulpflichtige Kinder jeden Tag daheim, musste sie nebenbei auch noch unterrichten und meine Arbeit verrichten. Meine Mitarbeiter waren alle weg. Das waren ungekannte Ausmaße für uns, vor allem der zweite Lockdown. Wir hatten sieben Monate zu. Einfach geschlossen, ohne Grund. Friseurgeschäfte wurden wieder aufgemacht und wir waren immer hinten dran. Es wird nicht besser, auch mit den Maßnahmen. Das ist alles schön und gut mit 2G und Impfausweis in die Gastwirtschaft oder essen gehen und das nur bis 22 Uhr. Aber wer soll das umsetzen? Die Bedienung ist dazu da, dass sie vielleicht blöde Sprüche macht, lächelt, Getränke und Essen bringt. Sie kann sich kurz mit den Gästen unterhalten, aber sich nicht um den Impfnachweis streiten. Ich brauche aber den Impfausweis, auch wenn ich ihn gestern gesehen habe. Wir hatten erst gestern Nacht den Fall, als ein Stammgast davon gestürmt ist, weil er den falschen QR-Code dabei hatte. Er hat rot angezeigt, weil er seine erste Impfung dabei hatte. Das sind einfach Sachen, die nicht sein müssen. Es ist nicht so, dass Hunderte von Ungeimpften versuchen, die Gaststätten zu stürmen. Das ist einfach nicht. Mit der Sperrstunde um 22 Uhr habe ich 30 Mann vor der Tür, die kurzfristig beschließen, einen Kasten Bier zu kaufen und woanders in einen Keller zu gehen. Ich finde das sehr sinnfrei. 

MMS: Ihr macht auch ein Kulturprogramm mit Kabarett und Musik. Was ist da passiert? 

Cortney Hacker: Tot. Das Einzige, was momentan noch stattfindet, sind zwei Jazz Konzerte bis zum Frühjahr. Wir haben unseren Saal aufwendig saniert im Lockdown. Es war schon vorher geplant, die Toiletten zu erneuern. Durch Fördermittel und die GEMA haben wir auch eine Lüftungsanlage eingebaut. Aber die läuft ja nicht, weil im Saal nichts stattfindet und alles abgesagt wurde. Kultur wurde auf 25 Prozent Auslastung beschränkt. Das wären für uns 50 Sitzplätze und dafür treten Künstler nicht auf oder zahlen drauf. Die ganze Leute im Hintergrund und Veranstalter wollen alle Geld verdienen und nicht Geld mitbringen. Außerdem sind die Verkäufe von Karten zurück gegangen, weil die Leute einfach Angst haben. Sie können die Situation nicht abschätzen. Findet es jetzt wirklich statt. Kaufe ich eine Karte oder wird es wieder geschoben? Sonst haben wir eine bunt gemischte Palette an Künstlern, die zu uns kommen. Wir haben Jazzkonzerte, regelmäßig Kabarett und eine Kleinkunstbühne. Wir hatten auch eine Theatergruppe vom Männerverein. Das findet auch schon seit zwei Jahren nicht statt. Das zerschlägt sich alles. Die Menschen suchen sich andere Tätigkeiten. 

MMS: Ich erlebe ich als positiv denkende Frau. Welche Denkweisen oder Hilfsmittel haben dir ein Stück geholfen, durch diese Zeit zu kommen? 

Cortney Hacker: Einfach weiterzumachen, auch für meine Kinder. Den Kopf in den Sand stecken, geht einfach nicht, wenn du drei Kinder hast, die dich brauchen. Auch wenn es schwer ist. Deshalb hat es mir schon geholfen, mich einfach in mein Zimmer zu sperren, Musik zu hören, zu basteln oder einfach abschalten. Meinen ältesten Sohn hat es schwer mitgenommen. Der ist 17 und hat jetzt mit Depressionen zu kämpfen. Er hat mittlerweile das Gymnasium geschmissen und wird dieses Jahr eine Ausbildung anstreben. 

Cortney Hacker, Foto: Joachim Skambraks

MMS: Du hast gerade erzählt, ins Zimmer zu gehen und Musik zu hören. Das bringt mich zur nächsten Frage. Wie haben Kunst, Musik, Kultur oder Literatur ein wenig geholfen, durch die Zeit zu kommen? 

Cortney Hacker: Zu der Zeit habe ich viel 60er und 70er Rockmusik gehört. Einfach mal abschalten und kurz für mich alleine sein. Ich habe alle Kinder hinaus geschickt, auch wenn das nicht unbedingt die richtige Methode ist. Aber irgendwo ist man auch nur ein Mensch. Man braucht einen kurze Auszeit. 

MMS: Bei welchen Liedern geht es dir richtig gut? 

Cortney Hacker: Lenard Skynyrd hat schon geholfen und Rolling Stones. Aber sonst alles Querbeet und ich habe wieder angefangen Schallplatten zu sammeln. Aber das staubt jetzt wieder ein. 

MMS: Schallplatten auf Vinyl? Was bedeutet dir das? 

Cortney Hacker: Das habe ich gern als Kind gemacht. Meine Eltern hatten ja Schallplatten und ich fand das faszinierend. Eine Schallplatte auflegen und du hörst Musik. 

MMS: Viele Menschen haben mir gesagt. das war eine Auszeit und ein Stillstand. Das gibt es auch die Chance, dass eine Innovation oder Transformation entsteht. Was ist bei euch entstanden? 

Cortney Hacker: Einiges. Wir hatten ja Zeit, uns mit Allem auseinanderzusetzen. Wir haben den Dachboden ausgeräumt, was sich seit 30 Jahren angehäuft hatte. So sind wir auch auf neue Ideen gekommen, was wir in der Wirtschaft umsetzen können. Zum Beispiel im Kassensystem, im Internet oder in der Küche, dass es mehr auf unserem Tagesbedarf zugeschnitten ist und nicht immer alles wie früher ist. Wir haben die Brauerei nicht komplett runderneuert, aber mein Mann hat CO2-Leitungen gezogen und sich mit seinem Maschinen auseinander gesetzt. Ich habe mich mit meiner Küche auseinander gesetzt, wie ich es haben möchte, dass es besser abläuft. Da hat man einfach Zeit gehabt durch zu schnaufen und das aufzuarbeiten. Das war auch nicht verkehrt, war aber sieben Monate waren zu lang. Wir haben uns auch Beschäftigungen gesucht, weil den ganzen Tag im Pyjama herum laufen, ist auf Dauer nichts für uns. 

MMS: Mit welcher mit welcher Idee seid ihr daran gegangen, aufzuräumen oder oder Prozesse zu verbessern? 

Cortney Hacker: Wir wollten unsere Mitarbeiter, die in Kurzarbeit waren, beschäftigen. Sie sollten uns erhalten bleiben. Wir wollen sie nicht alle komplett zu hause lassen. Da hat man anfangen, das eine oder andere aufzuarbeiten. Gut, keiner putzt oder räumt gerne aus. Aber der Dachboden war auch interessant. Wir haben auf dem Dachboden Sachen zum Ausstellen gefunden, die zum Becher Bräu gehören. Sie sind lange herum gelegen. 

MMS: Eine Frage zum Schluss: Was habt ihr denn gefunden? 

Cortney Hacker: Wir haben alte Bügeleisen und alte Bilder gefunden. Die haben wir wieder zurück geräumt, weil sie waren aus dem zweiten Weltkrieg. Solche militärischen Bilder gehören zur Geschichte dazu, aber ich möchte das auch nicht ausstellen. Oder alte Bierdeckel von der Bürgerbräu. Da stehen auf der Rückseite die Bayreuther Brauereien, wie Götschel, Mann’s, Schinner, Glenk, Maisel. Es ist eine ganze Packung, die noch eingeschweißt ist. (Es sind gute Brauereien aus der Vergangenheit, die es teilweise heute noch gibt oder die heute wieder neu belebt werden und hervorragende Biere brauen.) 

MMS: Cortney, ich danke dir für dieses tolle Gespräch. Ich hatte große Freude dabei. 

Fotos und Interview: Joachim Skambraks, Stimme der Hauptstadt.Berlin, Redaktion München 

 Hier finden Sie den Link zum Video: 

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Frank Pfuhl
Frank Pfuhl
SDHB Redaktion Berlin