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Menschen mit Spuren und ihre Wege durch die Krise. Folge 22: Dr. Sven Friedrich 

Dr. Sven Friedrich, Foto: Joachim Skambraks 

 

Dr. Sven Friedrich ist Direktor des Richard Wagner Museums, des Franz Liszt Museums und des Jean Paul Museums. Was immer große Freude bereitet, sind seine Einführungsvorträge für die Opern von Richard Wagner am Grünen Hügel, bevor es später im Festspielhaus die Aufführung gibt. Das macht er ausgesprochen fachkundig und auch humorvoll. 

wagnermuseum.de 

MMS: Vielen Dank, dass wir hier, sozusagen in Richard Wagners Wohnzimmer, reden dürfen. Herr Dr. Friedrich, wo hinterlassen Sie aus Ihrer Sicht Spuren? 

Dr. Sven Friedrich: Das ist von dem, der die Spuren hinterlässt, nicht so ganz einfach zu beantworten. Spuren kann man ja nur sehen, wenn man sich umdreht. Ich hinterlasse wohl Spuren wie jeder Mensch Spuren hinterlässt in seinem Leben, durch sein Leben. Natürlich vor allem im privaten oder familiären Bereich durch die Kinder natürlich, die ich habe. In der Arbeit ist es vielleicht das eine oder andere, was man geschrieben hat, oder auch die Neugestaltung des Richard Wagner Museums von 2010 bis 2015. Das war eine große wunderbare Aufgabe. Aber da soll man sich auch nicht überheben und zu wichtig nehmen. Das macht man ja nie alleine. 

MMS: Ich nehme immer wahr, nach den Einführungsvorträgen am Festspielhaus gehen die Leute sehr beseelt und mit großer Vorfreude in die Aufführungen am Nachmittag. Wie sehen Sie da Ihren Beitrag? 

Dr. Sven Friedrich: Es freut mich natürlich, das zu hören, denn Kunst soll auch Vergnügen bereiten, soll unterhalten und soll nicht immer nur bleischwer und bedeutungsschwanger daherkommen. Um in einem Bild zu sprechen, ist meine Aufgabe die eines ästhetischen Schuhanziehers, der vielleicht dazu hilft, dass die Menschen, die mit diesen Schuhen durch den Nachmittag und den Abend im Festspielhaus gehen, etwas leichter reinkommen, ohne sich groß zu bücken. Deswegen sind meine Vorträge nicht festgeschrieben oder vorformuliert und werden dann reproduziert, sondern ich mache das immer relativ frei. Dadurch wird es auch jedes Mal anders. 

MMS: Wir hatten einen Lockdown, eine Krise, eine Pandemie. Auch das Museum war davon beeinträchtigt und privat hat es vielleicht auch den einen oder anderen Kratzer gegeben. Wie haben Sie das erlebt? 

Dr. Sven Friedrich: Ich glaube das Bemerkenswerte ist zunächst, dass es eine Krise ist, die in ihrer Breite und Tiefe seit 1945 unvergleichbar ist. Es gibt, glaube ich, niemanden in unserem Land, in Europa und vielleicht in der ganzen Welt, der gar nichts davon mitbekommen hat, an dem diese Krise wirklich vorbei gegangen ist. Es ist also eine universale Krise, die jeden betroffen hat und in allen Bereichen. Privat war natürlich am allerschwersten die Kontaktreduzierung im Lockdown zu spüren, und dass man wirklich in seiner Wohnungsblase gesessen hat. Ich erinnere mich vor der Impfung auch an Besorgnis über die Gesundheit – die ist noch nicht ganz weg. Denn trotz Impfung kann man sich ja immer noch infizieren und krank werden. Das war so vor einem Jahr und war auch angstbesetzt. Es war aber nicht nur furchtbar. Es hatte auch seine guten Seiten. Man hat sich besonnen auf das, was wirklich wichtig ist, auf das, was wirklich bedeutsam ist. Man ist sozusagen ein bisschen runtergekommen, sage ich mal. Es hat auch eine neue Wertschätzung bei mir persönlich für das Leben an sich gebracht. Es geht jetzt nicht darum, in Clubs zu gehen oder Einkaufen oder ins Theater. Sondern das Leben war plötzlich kollektiv bedroht, und wir sollten es insgesamt etwas mehr wertschätzen. Beruflich war es natürlich die Schließung des Museums während des Lockdowns. Eine Situation, die wir so noch nie hatten, die wir natürlich auch nicht erwarten konnten. Aber damit muss man dann eben umgehen. Um mal ganz ehrlich zu sein, als relativ wenig personalintensiver Betrieb sind wir viel weniger betroffen gewesen, als jetzt beispielsweise Theater. Das ist natürlich nicht schön, wenn man schließen muss, aber es ist auch keine Katastrophe. Man sollte die Kirche im Dorf lassen. Das Museum konnte halt nicht besucht werden. Das ist seit Mai 2021 vorbei und jetzt geht es wieder. Wir haben natürlich einige Projekte nicht machen können. Wir haben einige Maßnahmen durch den Lockdown nicht durchführen können. Vieles war schwieriger dadurch, dass man eben alles über Video-Konferenz machen musste. Aber gut, die Herausforderung bestand vor allem darin, dass es für diese Krise einfach keine Blaupause gab. Man war doch weitgehend orientierungslos und wusste nicht, wie gehe ich damit um. Es ist selten, dass es nichts gibt, wo man andocken kann. Erfahrungen oder Wissen gab es nicht. Man musste improvisieren und musste jeden Tag wieder neu schauen: Wie gehe ich jetzt mit dieser Krise um? 

Dr. Sven Friedrich, Foto: Joachim Skambraks 

MMS: Sie haben mir zwei Stichworte gegeben. Das eine ist improvisieren und das andere diese Auszeit zu haben. Was hat Ihnen an Denkweisen, Techniken oder Handlungsideen geholfen, selber, mit dem Museum oder auch mit Ihrer Familie da durchzukommen? 

Dr. Sven Friedrich: Tatsächlich die Religion. Tatsächlich die Religion, wie es mir überhaupt ein empfehlenswertes Mittel scheint in unserer Zeit, in der wir uns für wahnsinnig viel verantwortlich und zuständig fühlen und unglaublich viel wollen, mal wieder zu verstehen, dass wir Menschen klein sind. Diese Krise lehrt, dass wir aus uns selbst heraus am Ende nicht wirklich viel vermögen, sondern dass unser Leben in einem größeren Zusammenhang steht. Als religiöser Mensch würde ich sagen, in Gottes Hand liegt. Und sich daran zu erinnern, dass das so ist. Für mich ist es ein enigmatisches Bild gewesen – Ostern 2020, der Segen des Papstes „Urbi et Orbi“ vor dem völlig menschenleeren Petersplatz, wo sich sonst Zehntausende drängen. Das war für mich ein ganz enigmatisches Bild dieser Krise, auch dieser Einsamkeit. Aber auch dieses dann zu Gott kommen und zu beten und zu sagen: Lieber Gott hilf mir, hilf uns, dass dieser Kelch irgendwie an uns vorübergeht. Wenn man das kann, und das ist sicher nicht jedem gegeben, dann brauchen wir auch keine Angst mehr zu haben. 

MMS: Was an Kunst, Literatur, Musik oder Theater hat ihnen vielleicht durch diese Krise geholfen? 

Dr. Sven Friedrich: Bei mir ist es persönlich so, dass ich mich beruflich den ganzen Tag weitgehend mit schönen Dingen beschäftigen darf. Es gibt auch Verwaltung, aber inhaltlich mit Richard Wagner, das Haus Wahnfried und die Festspiele. Das ist ein Riesenthema. Da habe ich kulturell genug, so dass ich mich abends ganz gerne auf mein Sofa zurück ziehe. Ich lasse mein Sky Abonnement wirken und schaue dann einfach Fußball. Jeder kennt das von sich selber, wenn man eine große Anspannung hinter sich gebracht hat, eine Phase mit viel Arbeit oder großer Belastung und denkt: Ach, wenn das vorbei ist, dann ist alles wieder wunderbar und dann machst du Urlaub und dann geht’s dir richtig toll. Die Erfahrung ist dann oft, wenn dieser Punkt kommt, fällt man in ein riesiges Loch. Theaterleute kennen das auch: Die Depression nach der Premiere, wenn die ganze Anspannung von einem abfällt. 

MMS: Welche Innovation oder neue Idee ist während der Zeit des Lockdowns und des Stillstandes entstanden? 

Dr. Sven Friedrich: Natürlich haben wir das ein oder andere ausprobiert. Ich habe relativ spontan angefangen, im März 2020, schon als der erste Lockdown war, morgens bevor ich an meinen Schreibtisch gegangen bin, mit meinem Handy durchs Haus zu gehen. Ich habe ein Exponat herausgesucht und das gefilmt. Dann habe ich etwas dazu geredet, was mir gerade einfiel. Im Grunde wie bei einer Museumsführung. Wir haben das ins Internet hochgeladen, auf Facebook und auf unsere Website. Man konnte sich das angucken, weil man ja nicht ins Museum gehen konnte. Das war eher so ein Spaß und Spiel. Das hat sich dann als unglaublich erfolgreich herausgestellt. Das Feedback war nahezu überwältigend. Ich habe es dann aber nach 30 Folgen wieder sein lassen. Eine Innovation ist ja nur eine Innovation, solange sie nicht normal und Alltag wird. Solche Ideen verbrauchen sich eben relativ schnell. Ich glaube es kommt gerade jetzt darauf an, uns zu besinnen, auf das, was wir sind, wo kommen wir her, was sind unsere Werte oder von wo wollen wir ausgehen. Wir sollten nicht meinen auf einem völlig schwammigen unsicheren Grund, auf dem wir uns jetzt befinden, jetzt unglaublich viel ausprobieren zu müssen. Irgend etwas Richtiges wird schon dabei sein. So ein Verfahren, glaube ich, wird uns nicht weiterführen. Sondern eben auf einer festen gesicherten Grundlage von Haltungen, Überzeugungen, Moral, Werten und Ethik zu handeln. Manchmal ist vielleicht das Konservative, das Bewahrende das wirklich Progressive. 

MMS: Dieses Gespräch hat für mich viele Antworten gegeben, mit denen ich gar nicht gerechnet habe. Lieber Herr Dr. Friedrich, ich bedanke mich sehr für das Gespräch und sage Danke, dass wir hier in diesem wunderschönen Raum im Haus Wahnfried sprechen durften. 

Fotos und Interview: Joachim Skambraks, Stimme der Hauptstadt.Berlin, Redaktion München 

Hier finden Sie den Link zum Video: 

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Frank Pfuhl
Frank Pfuhl
SDHB Redaktion Berlin