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Kommune 1, APO, Imam

Hadayatullah Hübsch, 2009 (Foto: Volker Neef)

Kommune 1, APO, Imam

Manche Lebensläufe sind so außergewöhnlich, dass man es kaum glauben kann und die Frage aufwirft: „Hat es sich wahrlich so zugetragen?“

Würde ein Drehbuchautor so einen Lebenslauf einem Filmproduzenten vorlegen, bekäme der Drehbuchautor bestimmt zu hören: „Da ist Ihre Fantasie mit Ihnen durchgegangen. So einen Lebenslauf gibt es doch gar nicht. Schreiben Sie den Lebenslauf um!“ Bei Paul-Gerhard Hübsch liegt so ein krummer, sehr außergewöhnlicher Lebenslauf aber vor.

Er kam 1946 in Chemnitz zur Welt. Von einer Schule flog er in hohem Bogen wegen Aufmüpfigkeit. Von 1965 bis 1967 war er in Hessen Mitglied im Ausschuss für Ostermärsche und in der Anti-Vietnam-Kriegsbewegung. Der bekennende Linke schloss sich der APO, der Außerparlamentarischen Opposition, an. In Berlin lebte er in der Kommune 1. Diese Kommune 1 war als Gegenstück der bürgerlichen Kleinfamilie gedacht. Die Mitbewohner lebten in freier Liebe. Die Frauen gehörten den dort lebenden Männern, ebenso wie alle Männer in der Kommune 1 den dortigen Frauen gehörten. Feste Beziehungen waren verpönt, sie galten als zu konservativ. LSD konsumierten die Bewohner gerne und oft. 

Seinen Lebensunterhalt verdiente Paul-Gerhard Hübsch durch das Schreiben. Die Lyrik war der Schwerpunkt seiner Autorentätigkeit. Als einer der ersten Kulturschaffenden in Deutschland widmete er sich auch dem Poetry Slam. Für zahlreiche Zeitungen war er als Freier Mitarbeiter tätig. Während einer Reise nach Marokko kam der Schriftsteller und Journalist mit dem Islam in Berührung. Er nahm 1979 die Religion an und fortan war sein Name Hadayatullah Hübsch. In Zeitungen wie „Welt“, „taz“, „Süddeutsche Zeitung“ erschienen seine journalistischen Artikel mit seinem islamischen Namen. Aus Paul-Gerhard Hübsch wurde Hadayatullah Hübsch. In den Medien lag der Schwerpunkt auf Rezessionen. Er verfasste Bücher wie „Der Weg Mohammeds“, „Muslimische Heilige und Mystiker“, „Innenhaut“, „Mein Weg zum Islam“ und „Peace Train“. Insgesamt verfasste er über 100 Bücher. Für den Autorenstand war er jahrelang in leitender Position ehrenamtlich tätig. Von 1991 bis 1998 leitete er den VDS, den „Verband deutscher Schriftsteller“, im Bundesland Hessen. In Hessen war er auch beim dortigen Rundfunk, dem Hessischen Rundfunk, sehr oft tätig. Im Radio waren seine Beiträge im Feature zu hören. 

Der Konvertit war nicht nur einfaches Gemeindemitglied der Ahmadiyya Muslim Jamaat, die in Frankfurt am Main ihren Sitz hat. Er, der ehemalige LSD-Konsument und ehemalige Bewohner der Kommune 1, war Pressesprecher der knapp 40.000 Mitglieder zählenden Gemeinschaft. Zudem predigte Hadayatullah Hübsch jeden Freitag in der Nuur-Moschee in Frankfurt-Sachsenhausen. Der Imam war ein Befürworter, ein Brückenbauer, des interreligiösen Dialogs. Für sein Tun erhielt der Kulturschaffende und Geistliche zahlreiche Ehrungen.

Hadayatullah Hübsch hätte am heutigen 8. Januar 2024 seinen 78. Geburtstag feiern können. Der Kulturschaffende, der Imam, der Brückenbauer zu anderen Religionen, ist am 4. Januar 2011 in Frankfurt am Main verstorben.

Text/Foto: Volker Neef

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Frank Pfuhl
Frank Pfuhl
SDHB Redaktion Berlin