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Dr. Gernot Volger zu Gast in Lichterfelde

Gernot Volger (Foto: Volker Neef)

Dr. Gernot Volger zu Gast in Lichterfelde

Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Dr. Gernot Volger ist auch bekannt als Buchautor und Journalist.

Am 13. Oktober wurde er von Andreas Wild in den Räumen der „Staatsreparatur e.V.“ in Berlin-Lichterfelde begrüsst.

Der gebürtige Sachse Gernot Volger, der im Alter von 14 Jahren mit seinen Eltern, gerade noch rechtzeitig vor dem Mauerbau, nach Nordhessen kam, sprach „den Hegemon“ an.
Das von Gernot Volger verfasste Werk trägt den Titel „Kampf um die Weltherrschaft“. Das Buch umfasst über 700 Seiten und ist im Helios Verlag, der in Aachen ansässig ist, erschienen.

Gernot Volgers Buch präsentiert die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in einer völlig neuen Perspektive, indem die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 20. Jahrhundert als Hegemonialkonflikt gedeutet werden. Daher handelt es sich nicht um eine historische Untersuchung. Diese neue Perspektive resultiert aus einer Verbindung von Politikwissenschaft und Ökonomie. Am wichtigsten: Die Industrielle Revolution hat die Natur des Kriegs in einem fundamentalen Sinne verändert: Seitdem werden Kriege zwischen Industrieländern nicht mehr durch überlegene strategische Fähigkeiten, sondern durch das Wirtschaftspotential der beteiligten Länder entschieden. Der ganzen Untersuchung unterliegt eine Tabelle des amerikanischen Ökonomen Walt W. Rostow über die Verteilung der Weltindustrieproduktion im Zeitablauf. Das ermöglicht, im Unterschied zu historischen Untersuchungen, vergleichende quantitative Aussagen.

Der fundamentale weltpolitische Konflikt des 20. Jahrhunderts war nicht der Kalte Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, sondern der seit den späten neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts sich anbahnende deutsch- amerikanische Hegemonialkonflikt. Hegemonialkonflikte sind Kämpfe um die Weltherrschaft.

Andreas Wild (li.) und Gernot Volger (Foto: Volker Neef)

Im Zentrum der Untersuchung stehen daher die üblicherweise sogenannten Weltkriege. Entstanden jeweils als Hegemonialkriege zwischen Deutschland und England, entwickelten sie sich zu deutsch-amerikanischen Hegemonialkriegen. Bereits unmittelbar nach Beginn der Kriege griffen die Vereinigten Staaten in diese europäischen Hegemonialkriege ein, indem sie zuerst einen Wirtschaftskrieg gegen Deutschland führten; später traten sie auch militärisch in die Kriege ein. Am Ende entschieden die Vereinigten Staaten über den Ausgang der beiden deutsch-amerikanischen Hegemonialkriege, weil sie in beiden Fällen über das weitaus stärkere Wirtschaftspotential verfügten. Das Ergebnis war nach 1919 eine weltwirtschaftliche Vorherrschaft der Vereinigten Staaten, nach 1945 zudem auch deren politische und militärische Hegemonie.

Schon der Erste Weltkrieg, den allein die Vereinigten Staaten aufgrund ihres überlegenen Wirtschaftspotentials entschieden (England und Frankreich waren allenfalls Mitsieger von Gnaden der Vereinigten Staaten), machte die Vereinigten Staaten zur wirtschaftlichen Vormacht der Welt. Der zweite von Deutschland begonnene europäische Hegemonialkrieg forderte die Vereinigten Staaten – jedenfalls in ihrem Selbstverständnis – noch stärker heraus. Das führte im Jahre 1941 abermals zu einem Eintritt der Vereinigten Staaten in den europäischen Hegemonialkrieg. Angekündigt hat sich das, wie die Analyse zeigt, lange vorher. Dabei ging es den Vereinigten Staaten ab 1939 darum, die wirtschaftliche Hegemonie, die sie seit 1919 errungen hatten, in eine umfassende Weltvormachtstellung zu transformieren. Bedingt durch den Kalten Krieg war diese Transformation erst 1991 abgeschlossen.

In Volgers Analyse geht es (1) um die wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen der beiden Kriege, (2) um deren wirtschaftliche und politische Dimensionen sowie (3) um deren wirtschaftliche und politische Folgen. Der militärische Verlauf der Kriege wird zwar auch thematisiert, weit wichtiger bei Volger sind jedoch die wirtschaftlichen Dimensionen der beiden deutsch- amerikanischen Hegemonialkriege. Die Geschehnisse werden dabei nicht nur in ihren jeweiligen historischen Zusammenhang eingeordnet, vielmehr werden Strukturen analysiert und es wird nach Regelmäßigkeiten gesucht – seien
es materielle wie beispielsweise wirtschaftliche Strukturen oder immaterielle wie beispielsweise politische Traditionen und Ideologien.

Neu ist die von Volger gefundene Erklärung für das zweimalige Eingreifen der Vereinigten Staaten in europäische Hegemonialkriege; er nennt diese Erklärung das zweite Prinzip der amerikanischen Außenpolitik. Es besagt, dass die Beherrschung des europäischen Kontinents durch eine Macht die wirtschaftliche Sicherheit der Vereinigten Staaten tangiere und im höchsten Maße gefährde. Dieses zweite Prinzip bestimmte seit der Entstehung der Vereinigten Staaten deren Außenpolitik. Diese Erklärung erlaubt erstmals eine allgemeine, strukturelle – also unabhängig von den jeweiligen zeitgebundenen Umständen – Deutung des Eintritts der Vereinigten Staaten in die beiden 1914 und 1939 als europäische Hegemonialkriege begonnenen Kriege.

Volgers Analyse wird bis zur Gegenwart fortgeführt durch die Darstellung, wie die Vereinigten Staaten ihre hegemoniale Position nach 1945 und mehr noch nach 1990 ausbauten und wie Deutschland auf vielfältige Art und Weise in die Hegemonialpolitik der Vereinigten Staaten eingebunden war und ist. Dabei zeigt der Autor, wie dem besiegten Deutschland im Schatten der amerikanischen Hegemonie ein Wiederaufstieg zur Weltmacht gelang. Volger arbeitet auch die überragende Rolle der Vereinigten Staaten im Prozess der deutschen Wiedervereinigung 1989/90 heraus, während andererseits – im Gegensatz zu in Deutschland vorherrschenden Auffassungen – gezeigt wird, wie bescheiden die Rolle des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow in diesem Prozess war. Heute ist Deutschland die zweit- bzw. drittstärkste Wirtschaftsmacht der Welt – die zweitstärkste, wenn man nicht nur die Zahlen des Bruttosozialprodukts zugrunde legt, sondern auch qualitative Merkmale und das relative wirtschaftliche Niveau Chinas und Deutschlands einbezieht. Volger zeigt auch die fundamentalen Divergenzen wirtschaftlicher, militärischer und politischer Art zwischen Deutschland beziehungsweise einem sich vereinigenden Europa

einerseits und den Vereinigten Staaten andererseits auf, die, bei aller auch vorhandenen Kooperation, zukünftig die europäisch-amerikanischen Beziehungen bestimmen werden.

Die Zuhörer in Lichterfelde waren von den Ausführungen von Dr. Gernot Volger sehr begeistert.
Andreas Wild bat den Autor, der noch rund zwei Stunden nach seiner Lesung Fragen aus den Reihen der Zuhörer beantwortet hatte, um „ein baldiges Wiederkommen zur Staatsreparatur nach Lichterfelde“.

Text/Foto: Volker Neef

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Frank Pfuhl
Frank Pfuhl
SDHB Redaktion Berlin