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Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ in Friedenau 

Das Ensemble: Frederike Schinzler, Katrin Katz Köbbert, Alexander Gier, Florian Sumerauer (Foto: Volker Neef)

Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ in Friedenau 

Was ist Traum, was ist Wirklichkeit?

Schon Edgar Allan Poe (1809 bis 1849) wusste es: „All that we see or seem is just a dream within a dream“. 

In Berlin-Friedenau gibt es ein kleines Theater, das genau so heißt: Kleines Theater am Südwestkorso. Wir sahen dort am 5. November die Bühnenadaption der „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler. In diesem Stück geht es um das „fluktuierende Zwischenland zwischen Bewusstsein und Unbewusstem“, wie Schnitzler seine Novelle einmal charakterisierte. Oder, wie Schnitzler in einem anderen Versspiel in einem Akt mit dem Titel „Paracelsus“ schrieb: „Es fließen ineinander Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge; Sicherheit ist nirgends.“ Schnitzlers Traumnovelle erschien im Jahre 1926, konzipiert hatte er sie aber bereits 30 Jahre früher.

Arthur Schnitzler, geboren im Jahre 1862 in Wien und gestorben im Jahre 1931 ebenda, war erfolgreicher Krankenhaus- und Privatarzt, doch seine Neigung gehörte der Literatur. In seinen späteren Lebensjahren gab er den Arztberuf auf und widmete sich ganz dem Schreiben. Schnitzler wurde zu einem der bedeutendsten österreichischen Erzähler und Dramatiker um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und zu einem der Hauptvertreter der Wiener Moderne. Einige seiner Stücke provozierten Skandale und wurden verboten, denn immer mal wieder ging es um Tabuthemen, vor allem die Sexualität. Er war der Sohn eines prominenten, auf Kehlkopfleiden spezialisierten, ungarischen Arztes, Universitätsprofessors und Klinikdirektors, der den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft hatte. Beide Eltern waren jüdischer Abstammung. Wichtig ist eben die Stadt Wien, die Hermann Broch, ein anderer bedeutender österreichischer Schriftsteller, später in der Rückschau als „fröhliche Apokalypse“ bezeichnete. Die Sensibleren unter den Wienern erahnten um jene Jahrhundertwende, wie brüchig ihre fast tausendjährige Gesellschaft mittlerweile geworden war und dass sie auf einen Abgrund zu taumelte. Zu diesem Endzeitbewusstsein gehörte auch die das Unbewusste erkundende Psychoanalyse, die ebenfalls im Wien jener Zeit entstand.

(Foto: Volker Neef)

Die beiden Hauptfiguren des Stücks sind Fridolin, ein fünfunddreißigjähriger Krankenhaus- und Privatarzt (wie Schnitzler selbst) und seine Ehefrau Albertine, ungefähr zehn Jahre jünger. Daraus ergibt sich, dass Albertine in sehr jungen Jahren heiratete und, wie in der damaligen bürgerlichen Gesellschaft üblich, ohne jede sexuelle Erfahrung in die Ehe ging, während diese Gesellschaft – hinter der Fassade der Wohlanständigkeit – es nicht nur tolerierte, sondern durchaus normal fand, dass junge Männer bei Ladenmädchen, Serviererinnen oder Prostituierten – also Frauen, die nicht der bürgerlichen Gesellschaft angehörten – sich „die Hörner abstießen“. Fridolin und Albertine führen, zumindest dem Anschein nach, eine harmonische Ehe, gemeinsam haben sie ein Kind, ein ungefähr neunjähriges Mädchen.

Die Erlebnisse der beiden Hauptfiguren spielen in einer Nacht und am darauffolgenden Tag. Als Fridolin von der Arbeit nach Hause kommt, erzählt ihm Albertine eine Erfahrung aus einem gemeinsamen Urlaub, bei der sie ihm beinahe untreu geworden wäre – oder jedenfalls träumte, ihm untreu zu werden. Bei Fridolin geht es um tatsächliche Ereignisse; das Stück zeigt eine seltsame Häufung von Fridolins Abenteuern innerhalb von 24 Stunden. An diesem Abend begegnet Fridolin drei junge Frauen, die ihn allesamt, auf je unterschiedliche Weise, sexuell anziehen. Doch keiner erliegt er.

Am späten Nachmittag wird er zu einem Patienten gerufen, der bei seinem Eintreffen bereits verstorben ist. Danach trifft er in einem Kaffeehaus zufällig einen früheren Freund, der sich als Pianist durchs Leben schlägt. Der erzählt ihm von einer mondänen Party einiger Reicher in einer einsam gelegenen Villa, bei der er mit verbundenen Augen spielen muss, aber doch etwas vom Treiben der Personen um ihn herum mitbekommt. Die Personen, Männer und Frauen, tragen allesamt Mönchskutten beziehungsweise Nonnentracht und Masken. Das aber nur am Anfang der Party, denn um Mitternacht erlöscht das Licht. Wenn es wieder angeht, tragen die Männer bunte Kavalierskostüme, die Frauen sind nackt. Doch alle tragen ihre Masken. Da der Freund Fridolin die Parole verraten hat, besorgt sich dieser ebenfalls Kutte und Maske bei einem Kostümverleiher mit einer ungefähr vierzehnjährigen Tochter, von der nicht klar wird, ob ihr Vater sie zur Prostitution anhält oder ob er sie als Lolita-Lockvogel zwecks Erpressung von Männern benutzt – oder beides. Fridolin folgt in einer anderen Kutsche seinem Freund, für den die Veranstalter der Party eine Kutsche geschickt haben. Mittels der Parole gelingt ihm der Zugang zur Party, doch er wird als Eindringling entlarvt und kann dem Verderben nur entkommen, weil sich eine schöne Frau für ihn opfert. Fridolins Abenteuer werden zunehmend surrealer.

Als Fridolin sehr früh am Morgen nach Hause kommt, erzählt ihm Albertine – „Ich will dir alles erzählen“ – einen sexuell aufgeladen Traum, der sich auf ein früheres Erlebnis bezieht, in dem sie ihm beinahe untreu geworden wäre. Oder war das frühere Erlebnis gar keine Realität? Jedenfalls zeigt Albertines Geständnis, wie das Stück in das Innenleben der Figuren hinein gleitet und dass die Gedanken und Wünsche einem manchmal entgleiten. So handelt es sich um eine Reise in das Unbewusste, doch wie Fridolin sagt: „Kein Traum ist völlig Traum.“ Das Unbewusste ist voller erotischer Begierden und Träume. Die Träume arbeiten an der Wahrheit, sie konfrontieren den Träumer mit seinen verborgenen Absichten und Wünschen. Durch ihre jeweiligen Geständnisse machen die beiden das Halbbewusste sich und dem Partner bewusst und finden dadurch Zugang zu ihrem Inneren. Da Traum und Wirklichkeit in der „Traumnovelle“ ineinander übergehen, bleibt am Ende offen, ob eine über den Augenblick hinaus gehende Gemeinschaft von Mann und Frau möglich ist.

Die Bühnenfassung von Schnitzlers Novelle wurde von Boris von Poser verfasst, der auch Regie führte. Die Vielzahl der Personen der Novelle wurde auf vier – zwei Männer, zwei Frauen – reduziert, die alle Rollen des Stücks im Wechsel verkörpern. Die Schauspieler Frederike Schinzler, Katrin Katz Köbbert, Alexander Gier, Florian Sumerauer, allesamt jung, beherrschen ihr Metier. Die Bühne und Kostüme stammen von Alissa Schaaf und Hannah Sammann. Für die Komposition ist Nico Pavlovic verantwortlich.

Das Publikum dankte es allen Beteiligten mit großem Applaus. 

Alle Details unter: www.kleines-theater.de

Text: Gernot Volger

Foto: Volker Neef

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Frank Pfuhl
Frank Pfuhl
SDHB Redaktion Berlin