Am 8. August 2024 hat ein Urberliner Geburtstag und darf seinen 100. Geburtstag feiern. Der 100. Geburtstag ist aber ein junges Datum für das Geburtstagskind. Das Geburtstagskind kam nämlich schon am 7. Februar 1882 zur Welt. Man meint die S-Bahn in Berlin.
Es gab aber bis 1924 keine elektrische S-Bahn. Somit kann man sagen: Zur Welt kam die S-Bahn 1882, eingeschult wurde das Geburtstagskind 1924.
Karsten Risch hat aus diesem Anlass das Buch „S- Bahn in Berlin, 100 Jahre elektrischer Betrieb“ verfasst. Im Mai 2024 hat die Verlagsgruppe Bahn (VGB) bei der GeraMond Media GmbH zu München das 192 Seiten umfassende Werk mit ca. 300 Abbildungen herausgegeben.
Lässt man die Zeit in Berlin von 1924 bis 2024 Revue passieren, was könnten noch erhaltene Stellwerke, S-Bahnstationen, Schaffneruniformen aus der Zeit der Stunde NULL bei der elektrischen S-Bahn berichten, wenn sie nur sprechen könnten.
Man hat die Weimarer Zeit erlebt, den Aufstieg und den Fall der Nazis, man lebte von 1949 bis Ende 1989 in zwei verschiedenen Welten. Wer beispielsweise in Lichtenberg gewohnt oder gearbeitet hatte, zahlte die Fahrkarte mit Mark der DDR. Die Bürger in Spandau beispielsweise zahlten in DM. Der eine Teil Berlins gehörte zum Warschauer Pakt und zum RGW, dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Westberlin war Bestandteil der EU und Soldaten der Alliierten Schutzmächte Frankreich, Großbritannien und USA schützen den Westteil. Der Mauerbau 1961 trennte auch S-Bahnlinien. Vom Westen aus ging es nur bis zur Grenzübergangsstelle Friedrichstraße. Nach dem Mauerbau riefen zahlreiche westliche Politiker zum Boykott der „Walter-Ulbricht-Bahn“ auf. Viele Westberliner mieden aus politischen Gründen die in Ostberlin beheimatete S-Bahn. Die Verwaltung der S-Bahn legte viele Strecken und damit verbunden Bahnhöfe in Westberlin still. 1984 übertrug die Ostberliner S-Bahn, natürlich im Tausch gegen harte Devisenzahlungen, Teile der S-Bahn an die Westberliner BVG. In Berlin kam es während der Zeit der Teilung zu politischen, diplomatischen Kuriositäten! Das gesamte Streckennetzt gehörte der DR, der Deutschen Reichsbahn; das Schienennetzt war somit Hoheitsgebiet der DDR. Gab es z. B. eine Keilerei auf Schienen der S-Bahn im Wedding, durfte die Westberliner Polizei die Schienen nicht betreten. Dieses Privileg hatten nur die Alliierten, natürlich auch die Soldaten der UdSSR und die Trapo, die zur DR und DDR gehörende Transportpolizei. Der S-Bahnhof Wollankstraße lag in Pankow. Man konnte diese S-Bahnstation aber nur von der westlichen Seite, vom Wedding, aus betreten. Hätte es dort einst gebrannt, wäre es dort zu einem Raubüberfall auf einen Fahrgast gekommen: Weder die Westberliner Feuerwehr noch die Westberliner Polizei hätten diesen S-Bahnhof betreten dürfen. Er lag ja in Pankow und somit im sowjetischen Sektor von Gesamtberlin. Dann haben die S-Bahnbeschäftigten und ihre Fahrgäste den Fall der Mauer 1989 und die deutsche Wiedervereinigung 1990 erleben dürfen. Vom 3. Oktober 1990 bis 2002 zahlte man in Gesamtberlin die Fahrkarten mit DM. Dann kam die Umstellung auf den Euro.
Die S-Bahn in Zahlen heißt im Klartext: Heute verkehren 16 Linien auf knapp 336 Kilometern auf dem Berliner S-Bahnnetz. Es umfasst 168 Bahnhöfe, davon befinden sich 36 im Bundesland Brandenburg. Die S-Bahn ist Arbeitgeber für ca. 2.850 Mitarbeiter. Im Jahre 2018 beförderte die Berliner S-Bahn 480 Millionen Fahrgäste.
Der Autor Karsten Risch kam 1948 in Berlin zur Welt. Der Diplom-Ingenieur befasste sich zunächst mit U-Bahn-Antrieben, nach dem Mauerfall war er Leiter der Fahrzeugtechnik der Berliner Straßenbahn.
Er teilt uns beispielsweise (S. 11) etwas zum Strom bei dem Antrieb der S-Bahn mit. „Eine Expertenkommission erarbeitete einen Vergleich der Stromsysteme und kam zum Ergebnis, dass ein Wechselstrombetrieb den Steuerzahler 500 Millionen Mark mehr kosten würde als das Gleichstromsystem. Auch die Betriebskosten würden im dreistelligen Millionenbereich über dem eines Gleichstrombetriebes liegen. „Damit ist dem Wechselstrom der Todesstoß gegeben, wir werden zum Gleichstrom schreiten“ erklärte der Regierungs- und Baurat Wechmann, einer der Väter des elektrischen Bahn-Betriebes in Deutschland.“
Für die Freunde der Dampflok hat Karsten Risch sowohl per Foto als auch Text die traurige Meldung auf S. 12 parat! „Am 15. Mai 1929 endete die Ära der mit Dampfloks bespannten S-Bahnzüge“.
Der Autor macht uns mit Text und zahlreichen historischen Fotos mit der Einführung des elektrischen Betriebs bei der Berliner S-Bahn seit 1924 vertraut. Dieses Buch erobert garantiert nicht nur die Herzen der Eisenbahnfreunde, alle Leser werden daran ihre Freude haben!
Das Werk „S-Bahn Berlin-100 Jahre elektrischer Betrieb“ von Karsten Risch umfasst 192 Seiten mit ca. 300 Abbildungen, Format 22,8 x 29,6 cm; Hardcover. Es kostet im deutschen Buchhandel 34,99 Euro.
ISBN: 978-3-98702-059-9.
Text: Volker Neef
Fotos: Frank Pfuhl; VGB Verlagsgruppe Bahn/GeraMond