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Russlands Volkswirtschaft in der säkularen Krise- Buchvorstellung

Bruno Schönfelder (Foto: Gernot Volger)

Russlands Volkswirtschaft in der säkularen Krise- Buchvorstellung

Am 5. April 2023 fand in den Räumen der „Preußischen Gesellschaft“ am Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte die Vorstellung des Buchs „Der Fluch des Imperiums“ statt. Das Buch ist 2022 erschienen. Der Autor, Bruno Schönfelder, drei Jahrzehnte lang Professor für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg (Sachsen) und mittlerweile im Ruhestand, skizzierte in einem Vortrag die Grundlinien seines Buchs.

Die wirtschaftliche Entwicklung Russlands ist in erster Linie durch seine geografische Lage und seine Siedlungsstruktur bestimmt. Dabei handelt es sich um in mehr als 100 Jahren gewachsene Wirtschaftsstrukturen, die Schönfelder als „Fehstrukturierung des Landes“ charakterisiert. Der größte Teil des russischen Territoriums liegt in Sibirien und es ist nur sehr schwach besiedelt. Landwirtschaft ist kaum möglich. Doch die Schwierigkeiten, die riesigen Entfernungen zu überwinden, verbunden mit den enormen Kosten, die die Kälte bewirkt, lassen die Industrialisierung Sibiriens als eine Sisyphosarbeit erscheinen, die, wenn man die wirtschaftlichen Bedingungen durchdenkt, niemals zu ökonomisch sinnvollen Ergebnissen führen wird.

Spätestens seit Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts versuchte die Sowjetführung unter Iosif Stalin diese Gebiete wirtschaftlich zu erschließen. Dabei ging es vor allem darum, dort eine leistungsfähige Schwerindustrie, vor allem eine Rüstungsindustrie, aufzubauen. Dort, hinter dem Ural, war die Rüstungsindustrie vor dem Zugriff eines jeden Invasoren geschützt. Die Entwicklung Chinas seit dem Ende des 20. Jahrhunderts konnte damals niemand voraussehen.

(Foto: Edition Europolis)

Im Sommer 1941, zum Zeitpunkt des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion, befand sich der größte Teil der schwerindustriellen Anlagen im westlichen Teil Russland. Unter schwierigsten Bedingungen und mit primitivsten Mitteln wurden durch umfangreiche Evakuierungsmaßnahmen 1.360 Großunternehmen und Fertigungsstätten demontiert und nach Osten, weit hinter den Ural, transportiert. Dort wurden neue Eisenbahnstrecken und Fertigungen errichtet, wenngleich dies längere Zeit erforderte. Das trug zwar in nicht geringem Maße zum Überleben der Sowjetunion bei, baute jedoch nolens volens die Fehlstrukturen weiter aus.

Bereits zu Sowjetzeiten war und auch heute noch ist die russische Volkwirtschaft eine Kriegswirtschaft, die nicht Konsumgüter für die Bedürfnisse der Bevölkerung produziert, sondern vor allem Rüstungsgüter. So war die Sowjetunion und so ist Russland heute keine Weltmacht – oder allenfalls im militärischen Bereich. Eine vielfältig diversifizierte Wirtschaftsstruktur hat es weder in der Sowjetunion gegeben noch gibt es sie im heutigen Russland. Tatsächlich ist Russland ein Schwellenland, das es nicht vermag, der Mehrheit seiner Bevölkerung wirtschaftlich ein auskömmliches Leben zu ermöglichen: 60 Prozent der Russen leben in Armut.

Das gilt im Besonderen für den sibirischen Teil des Lands, wo alle Güter, einschließlich des größten Teils der Lebens- und Futtermittel über riesige Entfernungen und unter klimatisch ungünstigsten Bedingungen transportiert werden müssen. Die sibirische Kälte erschwert jede Bautätigkeit in größtem Maße mit der Folge, dass der Bau von Industrie- und Verkehrsinfrastrukturanlagen um ein Vielfaches teurer ist als im westlichen Russland. Die Materialien halten der Kälte nicht lange stand mit der Folge, dass die Lebensdauer der Bau- und Industrieanlagen bei gleichzeitig hohem Erhaltungsaufwand weit kürzer ist als das normalerweise der Fall ist. 

Hinzutrat, dass seit den siebziger Jahren sehr große Beträge in die Erschließung von Erdöl- und Gasförderstätten investiert wurden. Das ermöglichte in Zeiten des Ölbooms beträchtliche Deviseneinnahmen, doch auf solche Boomzeiten folgen stets auch Einbrüche der Öl- und Gaspreise, die eine Förderung sehr wenig rentabel werden lassen – auch und gerade angesichts der erforderlichen riesigen Investitionsvolumina. Ein Land mit einer solch dual ausgerichteten Wirtschaftsstruktur – Rüstung und Öl – ist von den Entwicklungen des Weltmarkts weitaus abhängiger als eine diversifizierte Volkswirtschaft. 

Unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten wäre es daher sinnvoller, die Schwerindustrie in Sibirien deutlich zurückzufahren und den Menschen dort, denen Freizügigkeit in der Regel nicht gewährt wird, eine Abwanderung in das westliche Russland zu ermöglichen. Doch die Hoffnung auf eine radikale Änderung der russischen Wirtschaftsstrukturen hält Schönfelder, wie schon in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, für vergeblich. So befindet sich die russische Volkswirtschaft in einem langfristigen Prozess des Niedergangs. Das wiedererwachte russische Großmachtstreben ist wirtschaftlich nicht fundiert. Schönfelders klug argumentierendes Buch macht deutlich, dass die mittel- und langerfristigen Aussichten für eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Russlands höchst bescheiden sind.

Aus Schönfelders Buch wird auch deutlich, dass die amerikanische – und damit auch die westeuropäische -öffentliche Wahrnehmung der Sowjetunion damals und Russlands heute mit den wirtschaftlichen Realitäten des Lands nicht in Übereinstimmung zu bringen war und ist.

Das Buch von Bruno Schönfelder trägt den Titel „Der Fluch des Imperiums“. Es umfasst 152 Seiten und ist im Verlag Edition Europolis zu Berlin erschienen. Im deutschen Buchhandel kostet es 15,90 Euro. ISBN 978-3-9820256-3-6

Text: Gernot Volger

Fotos: Gernot Volger; Edition Europolis

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Frank Pfuhl
Frank Pfuhl
SDHB Redaktion Berlin