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Pufferstaat-Buchbesprechung

(Foto: Frieling Verlag)

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Zum Debakel der „Legitimation“ der politischen Herrschaft in Afghanistan

Vom Autor Dr. Said Musa Samimy stammt das Buch „Pufferstaat- Zum Debakel der „Legitimation“ der politischen Herrschaft in Afghanistan“. Es ist 2023 im Frieling Verlag zu Berlin erschienen.

In Afghanistan kam der Schriftsteller 1945 zur Welt. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kabul und kam 1968 nach Deutschland. 1977 erfolgte die Promotion. Dr. Said Musa Samimy kehrte unmittelbar nach der Promotion nach Afghanistan zurück. Der Wirtschaftswissenschaftler übernahm einen Lehrauftrag an der Wirtschaftsfakultät Kabul. Politische Repressalien zwangen ihn nach zwei Jahren jedoch dazu, das Land wieder zu verlassen. Von 1980 bis 2010 war er Redakteur bzw. Chef der Afghanistan-Redaktion des Asien-Programms der Deutschen Welle. Er ist Mitarbeiter bei zahlreichen deutsch- und englischsprachigen Zeitschriften und Begründer und erster Direktor des „Instituts für Afghanistanforschung“.

Hören wir in Westeuropa das Wort Afghanistan, denken wir unwillkürlich an Taliban, unterdrückte Frauen und an einen nicht funktionierenden Staat, der von merkwürdig gekleideten Steinzeit-Oberen beherrscht wird. Die Machthaber haben kürzlich erst angeordnet, dass Frauen nur mit einer kleinen Grundschulbildung versorgt werden dürfen. Berufsausübung ist Frauen untersagt. Ebenso untersagt sind für Frauen der Besuch von höheren Schulen und Universitäten. Schön und gepflegt müssen die Frauen nach Meinung der Taliban auch nicht aussehen! So hat man kürzlich alle Kosmetiksalons geschlossen. Weibliche Sportteams, ja selbst Damen-Nationalteams, hat man aufgelöst. Wer Musik hört, wer tanzt oder andere „schwere Sünden“ begeht, läuft Gefahr, zu Tode gesteinigt zu werden. Ehebrecher werden öffentlich hingerichtet. Sind die Verbrechen kleinerer Natur, erfolgt die öffentliche Auspeitschung.

Afghanistan ist seit fast einem halben Jahrhundert ein großer Unruheherd, ein Pulverfass. 1973 erfolgte ein Staatsstreich gegen die Monarchie. Dieser Putsch beendete zwar die internen Machtkämpfe, aber in der Folge kam es zur Invasion durch die Sowjetunion. Die von Moskaus Gnaden agierende kommunistische Regierung in Kabul wurde schließlich nach langen Kämpfen von den Mudschahedin besiegt. Deren Unfähigkeit, das Land in geordnete Verhältnisse zu führen, sowie die Einmischung Pakistans wiederum, ließen die Taliban-Milizen Einfluss nehmen, die als despotische Macht eine Politik der „verbrannten Erde“ praktizierten. Die Steinigungen, die Auspeitschungen, die öffentlichen Hinrichtungen wurden ja bereits angesprochen.

Ein landschaftliches wunderschönes Land mit überwiegend friedfertigen Menschen kommt unter die Räder bzw. kam darunter. Dieser Vorgang hält bedauerlicherweise an.

Die Taliban bauten in Zusammenarbeit mit Al-Qaida ein international agierendes Terrornetzwerk auf. Den Kampf gegen den internationalen Terrorismus sowie die Stabilisierung des Landes schrieb sich der Westen auf die Fahnen. Nach der ersten Taliban-Regierungszeit wollte der Westen das Land befrieden und es sollte sich demokratisch entfalten. Möglichst auch noch der eigenen Bevölkerung und den Nachbarstaaten Wohlstand bescheren.

Zieht man heute Bilanz, kommt Ernüchterung auf! Autor Dr. Said Musa Samimy spricht von „einer kaum beherrschbaren institutionellen Anarchie Afghanistans von sowohl geografisch kulturellen Überschneidungen, als auch von der ausgeprägten Diversität des eigenen Volkes. Afghanistan gilt seither als Pufferstaat zwischen den rivalisierenden Großmächten“.

Said Musa Samimy ist als gebürtiger Afghane Experte für sein Geburtsland. Er hat an der Universität gelehrt und Studenten ausgebildet, sie auf die Zukunft vorbereitet. Er versucht in diesem Werk einen gründlichen Einblick in die Gesellschaft und Wirtschaft Afghanistans zu vermitteln. Ebenso und mit seiner chronologisch geordneten Analyse der Hintergründe die Ursachen der heutigen zahlreichen Krisen in Afghanistan und MADE BY AFGHANISTAN zu skizzieren.

Angst und bange macht es den Leser, wenn er (S. 289 ff) davon erfährt „Afghanistan steuert auf eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes zu.“ Die Frage muss gestellt werden: Warum zogen sich die USA Hals über Kopf blitzschnell aus dem Land am Hindukusch plötzlich zurück? Warum folgten die anderen westlichen Partner, zu denen auch Deutschland zählte? War es nicht einst ein deutscher Bundesverteidigungsminister aus den Reihen der SPD, der davon sprach, die Freiheit in unserem Lande werde auch am Hindukusch verteidigt?

Es ist ein düsteres Bild, dass uns Lesern der Schriftsteller Said Musa Samimy vermittelt. Er kann ja nichts dazu, so schlechte Aussichten bezüglich des Landes Afghanistan zu liefern. Er hat ja sehr gut analysiert und recherchiert. Man erkennt in all seinen Aussagen den Wissenschaftler und Autor, der er ja ist.

Da bekanntlich die Hoffnung zuletzt stirbt, sollte man die weitere Entwicklung am Hindukusch abwarten. Erinnert sei an die DDR. Die Bürger in Dresden, Leipzig, Wismar, Berlin-Köpenick und Rostock waren es, die sich aus der Gefangenschaft des Kommunismus selbst befreit hatten. Vielleicht stehen eines Tages die Afghanen auf und jagen die Taliban zum Teufel? Der Satan muss dann die Frage selbst beantworten, ob er überhaupt solche „Gäste“ willkommen heißen möchte!

Das beeindruckende Werk „Pufferstaat- Zum Debakel der „Legitimation“ der politischen Herrschaft in Afghanistan“ von Said Musa Samimy umfasst 396 Seiten. Es ist im Frieling Verlag zu Berlin erschienen. Es kostet im deutschen Buchhandel
19,90 Euro. ISBN 978-3-8280-3793-9. Es ist auch als E-Book erhältlich und kostet im deutschen Buchhandel
14,99 Euro. ISBN 978-3-8280-3794-6.


Text: Volker Neef
Foto: Frieling Verlag

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