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Pepe-Berlinale 2024

STIMME DER HAUPTSTADT

Pepe (Foto: © Monte & Culebra)

In der Sektion „Wettbewerb“ ist der Film „PEPE“ zu sehen. Er hat eine Länge von 122 Minuten.

Regisseur ist der aus der Dominikanischen Republik stammende Filmemacher Nelson Carlo De Los Santos Arias. Er hat rund 5 Jahre an diesem Werk gearbeitet. Dabei stand ihm nur ein Minibudget von knapp 1 Million Dollar zur Verfügung. Solche Summen geben Hollywoodproduzenten für die Werbemaßnahmen eines Filmes in Westeuropa aus.

Man hat es mit einer Premiere zu tun. Noch nie in der Geschichte der Berlinale war ein Film aus der Dominikanischen Republik auf der Berlinale zu Gast gewesen. Aus diesem feierlichen Anlass ließ es sich S. E., der Botschafter der Dominikanischen Republik, Herr Francisco A. Caraballo Nunez, nicht nehmen, der Premiere im Wettbewerbspalast beizuwohnen.

Die Sprachen im Film sind Spanisch, Deutsch, Afrikaans und Mbukushu. Letzteres ist eine Sprache der Volksgruppe Kavango. Sie lebt im Nordosten Namibias.

Namibia 

(Foto: © Monte & Culebra)
Namibia (Foto: © Monte & Culebra)

Das zu jedem Filmfest mindestens ein „schräger“ Film präsent sein muss, ist eine Tatsache. Das Schrägsein hat Pepe inne. Das ist aber keineswegs ein Vorwurf!

Das Schrägsein fängt mit der ersten Szene im Film gleich an. Das Flusspferd Pepe stellt sich grunzend den Zuschauern vor. Es teilt mit, dass es zwei unumstößliche Dinge auf der Welt gäbe! „Erstens: Ich stamme aus Afrika. Zweitens: Ich bin tot“.

Das tote Flusspferd Pepe erzählt uns eine schräge, aber wahre Geschichte. Nachdem Pepe sich vorgestellt hat, erleben wir weiße Safari-Touristen aus Südafrika und Deutschland in Namibia. Sie sitzen um 1980 in einem Reisebus und wollen Flusspferde sehen. Der Reiseleiter ist ein weißer Wildhüter in kurzer Hose. Der farbige Fahrer wird von ihm geduzt. „Du, mach mal Pause. Du, erzähle uns was von Deinem Stamm! Meine Damen und Herren, Sie wissen ja, bei den Einheimischen handelt es sich um die Nachfahren von Wilden“. Der Fahrer erzählt das Märchen von den Menschen, die einst mit Krokodilen gekämpft hatten. Da die Krokodile den Menschen in die Nase gebissen hatten und die Nasen dabei vergrößert wurden, waren die Elefanten entstanden. Der Wildhüter hat seinen Spaß: „Sie hören ja, meine Damen und Herren, an was für einen Quatsch die Primitiven hier glauben. Jetzt setze Dich!“ Der Fahrer sagt: „Ja, Boss“! Dann kommt das neue Kommando: „Fahr ab!“ Wieder antwortet der Fahrer: „Ja, Boss!“ Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, die Elefanten-Geschichte musste er auf Befehl vom „Boss“ wie ein Gedicht aufsagen.

Pepe zeigt uns, wo seine Vorfahren einst zu Hause gewesen sind. Der Drogenboss Pablo Escobar (1949 bis 1993) aus Kolumbien, nicht nur jahrelanges Oberhaupt des Medellin-Kartells, sondern auch der inoffizielle Staatschef des Landes, möchte Flusspferde auf seinem sündhaft teuren Grundstück haben. Wer eine Luxusvilla sein Eigen nennt, muss im großen See Flusspferde zeigen können. Also hat man per Luftfracht einige Flusspferde von Afrika aus nach Südamerika gebracht. Pepe und seine Freunde waren die ersten Tiere dieser Gattung, die außerhalb Afrikas gelebt hatten. Wie das bei Lebewesen so üblich ist, wenn Mann und Frau vorhanden sind: Man vermehrt sich! Aus einer kleinen Anzahl von 4 eingeflogenen Flusspferden entstand eine große Schar.

Als der Drogenbaron verhaftet worden ist, verkümmerte sein Reich. Man überließ Pepe, der mittlerweile das Alphatier geworden war, und seinen Familienmitgliedern dem Schicksal. Auf der Suche nach Futter hatten Pepe und seine Artgenossen die Umzäunung überwunden und bereicherten die Seen- und Flusslandschaft Kolumbiens. Einem Fährmann fiel das größte Tier der Herde, das war Pepe, sofort auf. Er erzählte seiner Frau davon. Nelson Carlo De Los Santos Arias zeigt uns ein seit 33 Jahren verheiratets Ehepaar. Sie glaubt dem alten Trunkenbold kein Wort über ein riesiges Tier im Fluss. Er beschuldigt sie daraufhin, einen sehr jungen Liebhaber sich zugelegt zu haben. Weder ist der Mann ein Alkoholiker, noch hat die Frau einen Freund. Während in Rückblicken die Flusspferde Familiensinn an den Tag legen, streiten die Zweibeiner in einer Tour. Der Streit gehört für sie zum Alltag wie das tägliche Brot.

Der Fährmann geht zum Dorfgendarmen und erzählt auch ihm von dem Riesentier. Der Polizist gibt den Ratschlag, jetzt erst mal nichts zu tun. Sollte das Tier nochmal auftauchen, werde man geeignete Maßnahmen ergreifen.

Immer mehr Mitbürger sehen Pepe. Die Armee wird in Stellung gebracht. Der Gendarm wird von einem sehr hohen Polizeioffizier und seinem Gefolge besucht. Der „Kommandante“ schnauzt den Gendarmen zusammen. „Wenn Sie Trottel sich eher gemeldet hätten, wäre so ein Aufwand nicht nötig gewesen“. Der Umweltstaatssekretär persönlich hat den Abschuss von Pepe angeordnet. Eine Behörde, die die Fauna schützen soll, erteilt den Todesbefehl. Man hatte auch in Erwägung gezogen, Pepe und Kumpane einzufangen und nach Afrika zurückzubringen. Aber: Das ist kostenintensiv. Lieber lassen die Zweibeiner Pepe erschießen als zu viel Geld für ein Tier auszugeben. Mit dieser Logik wären viele Tierärzte arbeitslos. Man geht mit seinem kranken Hund, seiner Katze oder dem Kanarienvogel nicht zum Tierarzt! Zu kostenintensiv. Zu oft vergessen die Zweibeiner (so nennt Pepe sie immer im Film) nämlich oder wollen es nicht wahrhaben: Jedes Tier ist ein Geschöpf Gottes. Das hatte schon im 12. Jahrhundert der Ordensgründer, der später Heiliggesprochene Franz von Assisi, gelehrt.

Als deutscher Zuschauer erinnert man sich an „Bruno, den Bär“. Er machte sich 2006 auf den Weg von Italien nach Deutschland. Man erschoss ihn wenige Wochen später in Bayern. Pepe teilt uns mit, er weiß, was die Zweibeiner mit den Gewehren in den Händen mit ihm vorhaben. Einmal werde er noch tief und laut grunzen, dann sich seinem Schicksal ergeben. Pepe ist bis heute das einzige Flusspferd auf der Welt, das außerhalb Afrikas in freier Natur getötet worden ist.

Im Rio Magdalena in Kolumbien leben weiterhin die Nachfahren von Pepe. Die Menschen haben nunmehr verstanden, die Flusspferde sind keine Gefahr für uns. Flusspferde sind Pflanzenfresser.

Das Meisterwerk von Nelson Carlo De Los Santos Arias regt nicht nur dazu an, über den Umgang der Zweibeiner mit den Tieren nachzudenken. Massenzucht, unwürdige Stallbedingungen, nur damit wir kostengünstig Fleisch, Eier, Käse, Fisch mehr fressen als speisen können: Wer alles versündigt sich an den Tieren? Im katholisch geprägten Südamerika hat ein Amtsträger, nämlich der Staatssekretär im Umweltministerium, die Worte des katholischen Ordensgründers Franz von Assisi vergessen. Der Heilige sprach davon, dass Tiere, Pflanzen und wir Menschen, also die gesamte Welt, nur einen Urheber haben, dieser eine Urheber ist Gott.

Nelson Carlo De Los Santos Arias bringt noch einen Aspekt für den gesamten Kontinent Amerika ins Spiel. Einst holten die Kolonialmächte Spanien, Portugal und die neuen weißen Herren in Nordamerika, nachdem die Indianer massenweise getötet oder in Reservaten eingesperrt worden waren, sich zweibeinige Pepes aus Afrika. Viele Bewohner des Kontinents Amerika haben Vorfahren, die einst in Afrika zu Hause gewesen sind.

Die Afrikaner mussten beim Zuckerrohranbau, in den Baumwollfeldern oder in einer Kautschukplantage bis zum Umfallen arbeiten. Die Sklaven waren rechtlose Menschen. Höchstens, wie am Anfang des Films der Busfahrer es gemacht hatte: „Ja, Boss!“ zu sagen, das Recht hatten sie.

Ein schräger guter Film auf der Berlinale im Wettbewerb und zugleich ein guter schräger.

Text: Volker Neef

(Foto:  © Monte & Culebra)

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