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Knigge für Menschen mit Handicap-Thomas Seerig im Gespräch

Thomas Seerig (Foto: Volker Neef)

Knigge für Menschen mit Handicap-Thomas Seerig im Gespräch

Thomas Seerig (FDP) gehörte bereits von 1990 bis 1995 erstmals dem Berliner Abgeordnetenhaus an. Von 2016 bis 2021 war der Liberale aus dem Bezirk Steglitz-Zehlendorf erneut Volksvertreter im Berliner Landtag. Er übte u. a. das Amt des Sprechers für Mitbürger mit Handicap aus. Als einziger Vertreter der FDP-Fraktion gehörte er in der damaligen Legislaturperiode dem Präsidium des Abgeordnetenhauses an. Nunmehr vertritt Thomas Seerig ehrenamtlich die „Landesvereinigung (LV) Selbsthilfe“ in der „AG Bauen und Verkehr barrierefrei“ bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Umweltschutz (Verkehrsverwaltung). Zum Thema „Knigge für Menschen mit Handicap“ sprachen wir mit ihm.

STIMME-DER-HAUPTSTADT: Es gibt immer wieder die Frage, wie man Menschen mit Behinderung begegnen soll oder darf, insbesondere: Was darf man sagen und gegebenenfalls tun?

Thomas Seerig: „Der Umgang sollte immer so normal, wie möglich sein. Auch Blinde können sich auf den ersten Blick verlieben und auch Rollstuhlfahrer stehen für ihre Meinung ein“.

STIMME-DER-HAUPTSTADT: Was sollte man an den Tag legen?

Thomas Seerig: „Gefragt ist eine Mischung aus Normalität und dem üblichen Respekt dem Andren gegenüber“.

STIMME-DER-HAUPTSTADT: Hier haben wir es aber mit Menschen mit Handicap zu tun.

Thomas Seerig: „Menschen mit Handicap haben zwar ein Handicap, sind aber ansonsten „normale Menschen, die nicht in Watte zu packen sind. Dazu gehört auch, dass man übliche Formulierungen verwendet, ohne sprachliche Pirouetten zu drehen“.

STIMME-DER-HAUPTSTADT: Gibt es da ein Tabuzone?

Thomas Seerig: „Die Grenze liegt im Respekt für den Andren und natürlich im persönlichen Verhältnis; einem alten Freund begegnet man anders als der Straßenbekanntschaft. Egal ob mit oder ohne Behinderung.

Und ob man den Blinden auffordert, doch mal richtig hinzugucken oder den Gehörlosen aufzufordern, doch endlich zuzuhören, bleibt dem persönlichen Feingefühl überlassen. Höflich ist dies aber sowieso eher nicht.

Daher sollte auch die Behinderung nicht in abwertender Weise zum Thema gemacht werden; der kognitiv Eingeschränkte mit Leseschwierigkeit wird nicht gefragt, ob er den neusten Aufsatz zur Auslegung der Schriften des Philosophen Wittgenstein gelesen hat“.

STIMME-DER-HAUPTSTADT: Gibt es, neben den bereits erwähnten Tabuzonen, ein sogenanntes hochrisikoreiches No-Go?

Thomas Seerig: „Eine Besonderheit in Sachen „Normaler Umgang“ gibt es: Hilfsmittel, die die Behinderung kompensieren sollen, sind quasi Körperteile und damit Intimbereich.

Daher darf man beispielsweise den Rollstuhl nicht einfach anfassen oder gar den Rollstuhlfahrer – ungefragt – bewegen. 

Hilfe sollte sowieso nur auf Nachfrage geleistet werden; also nicht über die Straße helfen/bringen, wenn das gar nicht gewollt ist.

Man darf Hilfe anbieten, aber nicht aufdrängen. Auch Menschen mit Behinderung wissen nämlich selbst am besten, was sie wollen.

Daher stets mit dem Betroffenen DIREKT reden und nicht über ihn hinweg mit der Begleitperson. Einen Menschen mit Behinderung als unmündiges Kleinkind zu behandeln, das ist ein absolutes No-Go. Auf Augenhöhe und gleichberechtigt.  

Also eigentlich ganz einfach: Menschen mit Handicap sind Menschen wie Du und ich und wollen so behandelt werden – weder schlechter noch besser.

Daher gilt aber: Jeder Mensch ist anders und jeder ist etwas anders zu behandeln. Hier sind Fingerspitzengefühl, gute Manieren und Freundlichkeit gefragt – Ob mit oder ohne Behinderung“.

STIMME-DER-HAUPTSTADT: Vielen Dank für das Gespräch.

Text/Foto: Volker Neef

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Frank Pfuhl
Frank Pfuhl
SDHB Redaktion Berlin