Park Song-yeol, Won Hyang-ra (Foto: Saranghaja)
Najeneun Deopgo Bameneun Chupgo- Berlinale-Film
Im Rahmen der 72. Berlinale lief in der Sektion Forum der koreanische Spielfilm „Najeneun Deopgo Bameneun Chupgo“.
Der englische Titel lautet „Hot in Day, Cold at Night“. Der 90-minütige Film feierte 2021 seine Premiere beim Busan International Film Festival (BIFF). Park Song-yeol spielt die männliche Hauptrolle, den jungen Mann Young-tae. Park Song-yeol ist zugleich auch Regisseur, Drehbuchautor, Kameramann und Cutter. Die weibliche Hauptrolle spielt Won Hyang-ra. Sie spielt Jeong-hee, die Gattin des Young-tae. Won Hyang-ra ist die Produzentin des Films, sie wirkte auch am Drehbuch und am Schnitt mit. Es ist der zweite gemeinsame Film von Park Song-yeol und Won Hyang-ra.
Im Wirtschaftswunderland Südkorea, aus dem Autos, TV-Geräte, Computer und Handys für die halbe Welt hergestellt werden, gibt es neben viel Licht auch viel Schatten. Das Ehepaar Young-tae und Jeong-hee gehören zu den Menschen im reichen Südkorea, die im Dunkeln mehr vegetieren als leben. Obwohl sie täglich im Internet und in den Zeitungen nach Jobangeboten Ausschau halten, leben sie von „der Hand in den Mund“. Es gibt nur befristete Jobs oder Jobs auf Zuruf. Von einer langfristigen oder gar dauerhaften Beschäftigung können die beiden jungen Leute nur träumen. Der junge Mann ist mal als Aushilfsfahrer tätig, die junge Frau sieht man als Essens-Auslieferantin für Restaurants. Dabei haben die Beiden gute Ausbildungen und erfolgreiche Universitätsabschlüsse vorzuweisen. Hat man aber keinen Papa oder Onkel im Ministerium oder einem der südkoreanischen Weltkonzerne sitzen, bekommt selbst ein überragender Universitätsabsolvent keinen Vorstellungstermin. Der Bewerber mit schlechteren Noten im Examen kommt zum Zuge. Er hat einen Onkel vorzuweisen, der Macht und Einfluss hat. Jeong-hee hat erfolgreich Pädagogik studiert, es kommen aber pro Schuljahr nur ganz wenige Wochen im Schuldienst zustande als Vertretung für längerfristig erkrankte festangestellte Lehrer. Nicht nur die finanziellen Sorgen zehren an den Nerven des Ehepaares. Es kommt auch noch hinzu, man behandelt die immer tapfer um einen Job Kämpfenden wie Abschaum! Ein Fahrgast will dem Aushilfs-Taxifahrer Young-tae lautstark und mit beleidigenden Worten erklären, wie und wo er zu fahren hat. Jeong-hee bekommt beim Austragen des Essens nur Vorwürfe zu hören. Da beschwert sich eine Kundin, dass die „Schlampe auf dem Fahrrad“ 15 Minuten gebraucht hatte auf dem Weg vom Restaurant bis zur Wohnungstür. Man hatte ihr aber das Essen bereits nach 10 Minuten Wartezeit versprochen. Der nächste Kunde schreit, er hoffe, „der Fraß ist heute nicht so schlecht wie beim letzten Mal“. Keiner der Kunden gibt auch nur ein kleines Trinkgeld, überall muss sich die Essenslieferantin Beleidigungen anhören. Man sieht auch im Spielfilm, wie sich das Ehepaar zwei, drei Tage nur von Reis ernähren muss. Für andere Lebensmittel ist kein Geld vorhanden.
Es gibt aber im Leben der Beiden ganz selten auch mal so etwas wie Sonnenschein. Er kann sich erinnern, man war ja einst, als beide längerfristige und gutdotierte Jobs hatten, zu einem Kurzurlaub in China. In einer Schublade findet Young-tae noch zwei chinesische Geldscheine. Man tauscht diese in einer Bank um und erhält knapp umgerechnet unter 10 Euro dafür. Das Geld reicht, um die nächsten Tage Reis mit Soße und Gemüse zu essen und dazu Leitungswasser zu trinken. In der Not zeigt sich auch, wer die wahren Freunde sind. Da verspricht ein angeblich guter Kumpel dem Young-tae einen guten Job. Das Ganze entpuppt sich aber als eine sogenannte Pyramide. Man muss erst eine hohe Summe einzahlen und neue Dumme suchen, die in solch ein Projekt einsteigen wollen. Der Betrogene soll also andere Menschen später betrügen. Ein anderer, angeblich guter Freund, leiht sich von dem Ehepaar eine wertvolle Kamera aus. Der gelernte Fotograf habe momentan so viele gute Aufträge. Leider ist gerade jetzt seine Kamera kaputtgegangen. Natürlich will er dem Hobbyfotografen Young-tae von den zahlreichen Einnahmen einen ordentlichen Batzen später abgeben. Nur für zwei Wochen brauche er die Kamera. Dann schließt sich ein weiterer guter Auftrag an den anderen an und der so gute Freund hat schon 6 Wochen die wertvolle Kamera in seinem Besitz. Es kommt leider so, wie Jeong-hee es ihrem Mann vorausgesagt hatte! Der angeblich beste Freund ihres Mannes hat die Kamera längst verkauft, um von den eigenen Schulden runterzukommen. Mitleid und Hilfe von angeblichen Freunden sind unbekannte Worte für die beiden nach Arbeit suchenden. Ein ehemaliger Klassenkamerad, der einen guten Job hat, trifft auf der Straße Young-tae. Dieser wird „begrüßt“ mit den Worten „Na, du arbeitsloses Stück Scheiße!“
Soll man sich fremdschämen oder sehr viel Mitleid mit den Beiden haben, als man die Mutter von Jeong-hee zum Geburtstag in einer entfernt gelegenen Stadt besucht? Alle anderen Geschwister der Jeong-hee überreichen der Mutter teure Geschenke oder Briefumschläge, die prall mit Bargeld gefüllt sind. Da die beiden Armen nichts als Geschenk mitgebracht haben, sitzen sie nach alter koranischer Tradition auf dem Fußboden und schauen unentwegt diesen an. Man hat nicht den Mut, der Mutter bzw. der Schwiegermutter in die Augen zu schauen. Mal erzählen Park Song-yeol und Won Hyang-ra ihre Geschichte so unter die Haut gehend, dass man ihnen am Liebsten ein paar Münzen unauffällig zustecken möchte. Mal erzählen sie die Geschichte des armen Ehepaars mit so viel zärtlichem, trockenen Humor, der schon Züge des Absurden trägt. Man sieht beispielsweise, wie sich die Beiden den ein oder anderen kleinen Sonnenschein bereiten. Neben dem schon erwähnten Fund der chinesischen Geldscheine schneidet man aus Zeitungen Rabattcoupons aus und erhält für diesen Coupon in einem Supermarkt eine kleine Packung Nudeln. Ein anderer Supermarkt gibt für mehrere vorgelegte Coupons ein 50-Gramm Stück Seife ab. Dann ist ja da auch noch die Frage, ob man sich Geld vom Kredithai leihen soll? Jede kleine Ausgabe, jede ankommende Rechnung wird diskutiert und der Sinn dieser Ausgabe stundenlang erörtert.
Man kann als europäischer Zuschauer gar nicht so recht glauben, dass die beiden Künstler Park Song-yeol und Won Hyang-ra südkoreanische Bürger gezeigt haben, die es so nicht nur geben wird, sondern garantiert in der Realität gibt. Bürger, die froh sind, wenn sie 3 oder 4 Packungen Reis auf Vorrat im Hause haben. Man weiß ja nicht, ob man morgen oder übermorgen zum Zuge kommt mit einem kleinen Aushilfsjob. Man zeigt natürlich auch seiner Familie und Freunden sowie den Nachbarn diese Armut nicht. Das lässt wohl die fernöstliche Kultur kaum zu. Man hat keine gesperrte Kreditkarte wegen Überschuldung. Man kann die Kreditkarte beim Geburtstag der Mutter nicht bei einer dortigen Bank einsetzen, hat man diese doch bedauerlicherweise zu Hause vergessen. Man kann arm sein, aber man muss höflich bleiben und muss die Armut wie mit einem Mantel zudecken. Ganz großes Kino „Made in Korea“!“
(Text: Volker Neef/Foto: Saranghaja)